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Kapitaleinlageprinzip – Leitentscheid des Bundesgerichts vom 21. März 2025

Im Zusammenhang mit dem Kapitaleinlageprinzip war bisher umstritten, welche Tragweite die in Art. 5 Abs. 1bis VStG erwähnte Pflicht zur Meldung von Veränderungen der Kapitaleinlagereserven («Meldepflicht») hat. Ebenso umstritten war die Interpretation in Bezug auf den Zeitpunkt des Ausweises der Reserven aus Kapitaleinlagen auf einem gesonderten Konto der Handelsbilanz («Ausweiserfordernis»). Mit Urteil des Bundesgerichts vom 21. März 2025 (9C_690/2023) wurden für die Praxis wichtige Fragen geklärt.

Worum geht es?

Die beschwerdeführende Gesellschaft erhielt 2012 aus dem Nachlass ihrer verstorbenen Aktionärin Liegenschaften als Vermächtnis zugewendet. In der Jahresrechnung 2012 verbuchte die Gesellschaft den Bruttowert des Vermächtnisses von CHF 50’001’998 als ausserordentlichen Ertrag. Zudem bildete sie aufwandwirksam eine Rückstellung für Erbschaftssteuern.

In einem separaten Verfahren bis vor Bundesgericht war zunächst strittig, ob der Bruttobetrag von CHF 50’001’998 oder nur der Zufluss nach Abzug der Erbschaftssteuer vom steuerbaren Gewinn auszuklammern ist. Gemäss Urteil vom 30. November 2017 ist lediglich der Nettozuwachs aus Erbschaft gewinnsteuerneutral (BGE 143 II 674; vgl. Art. 60 lit. c DBG).

In der Bilanz per 31. Dezember 2016 wies die Gesellschaft erstmals eine «Reserve aus Kapitaleinlagen» in Höhe von CHF 50’001’998 aus. Am 21. April 2017 beschloss die Generalversammlung der Gesellschaft eine Ausschüttung für das Jahr 2016 in Höhe von CHF 1’080’000 aus den Reserven aus Kapitaleinlagen. Im Anhang zur Jahresrechnung 2017 führte die Gesellschaft aus, dass aufgrund des Bundesgerichtsurteils vom 30. November 2017 die Kapitaleinlagereserve um das Total der bezahlten Erbschaftssteuern (CHF 18’096’669) auf CHF 30’825’329 reduziert worden sei. Dieser Endbestand per 31.12.2017 wurde mit Formular 170 vom 8. Februar 2018 der ESTV gemeldet. Zudem wurde auf der Kapitaleinlage die Emissionsabgabe i.H.v. CHF 319’053 entrichtet.

Mit Entscheid vom 24. August 2018 verweigerte die ESTV die Anerkennung der Kapitaleinlagereserven, was vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Oktober 2023 bestätigt wurde. Das Bundesgericht hob das vorinstanzliche Urteil auf und hiess die Beschwerde teilweise gut.

Zeitpunkt des Ausweises auf einem gesonderten Konto

Anders als die einkommenssteuerrechtlichen Bestimmungen zum Kapitaleinlageprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 DBG; Art. 7b StHG) verlangt Art. 5 Abs. 1bis VStG zusätzlich, dass die Einlagen «in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto ausgewiesen» werden («Ausweiserfordernis») und die Gesellschaft «jede Veränderung auf diesem Konto der ESTV meldet» («Meldepflicht»).

Das Bundesverwaltungsgericht war der Auffassung, dass der Ausweis auf einem gesonderten Konto in der Handelsbilanz zum Zeitpunkt der Leistung oder zeitnah erfolgen müsse und eine nachträgliche Umbuchung einer zunächst erfolgswirksam verbuchten Zuwendung nicht zulässig sei. Vorbehalten seien einzig zulässige Bilanzberichtigungen.

Beurteilung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellt zunächst fest, dass es sich beim Vermächtnis nicht nur um einen Kapitalzuwachs aus Erbschaft handelt, sondern gleichzeitig auch um eine Kapitaleinlage. Zudem sei die Umbuchung in die Reserven aus Kapitaleinlagen handelsrechtskonform erfolgt, und der Ausweis in der Handelsbilanz 2017 sei nicht zu beanstanden.

Bei der Meldepflicht und dem Ausweiserfordernis handle es sich – entgegen anderslautender Lehrmeinungen – nicht nur um Ordnungsvorschriften, die einem Kontrollzweck dienten, sondern um zusätzliche konstitutive Voraussetzungen, von denen die verrechnungssteuerfreie Ausschüttung abhänge. Entgegen der Vorinstanz seien jedoch keine überzeugenden Gründe ersichtlich, weshalb offene Kapitaleinlagen, die zunächst nicht gesondert ausgewiesen würden, nach einer handelsrechtskonformen Umbuchung auf ein gesondertes Konto in der Handelsbilanz nicht für die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 1bis VStG in Betracht kommen sollten. Der Auffassung der Vorinstanz, dass der Ausweis auf einem gesonderten Konto in der Handelsbilanz immer zum Zeitpunkt der Leistung der Kapitaleinlage oder zeitnah danach erfolgen müsse, könne nicht gefolgt werden.

Auch sei dem Zweck der Meldepflicht bei offenen Kapitaleinlagen bereits Genüge getan, wenn die Gesellschaft der ESTV im Zeitpunkt der Fälligkeit der Rückzahlung sämtliche Veränderungen auf dem gesonderten Konto gemeldet habe. Vorliegend sei die Kapitaleinlage per 31. Dezember 2017 zwar in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto ausgewiesen worden. Die Meldepflicht sei jedoch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Dividende im April 2017 nicht erfüllt gewesen, weshalb die Erhebung der Verrechnungssteuer auf der Ausschüttung 2017 zu Recht erfolgt sei. Die Beschwerde sei jedoch insoweit begründet und gutzuheissen, als die Beschwerdeführerin die Feststellung von Kapitaleinlagereserven per 31. Dezember 2017 im Umfang von CHF 30’825’329 verlange.

Fazit

Dass der Ausweis in der Handelsbilanz auch zu einem späteren Zeitpunkt als demjenigen der Leistung noch erfolgen kann und die Meldepflicht spätestens im Zeitpunkt der Rückzahlung erfüllt sein muss, sind wichtige Konkretisierungen. Die dem höchstrichterlichen Urteil teilweise widersprechende lang­jährige Verwaltungspraxis der ESTV wird damit angepasst werden müssen. Denn in der Praxis treten verschiedentlich Konstellationen auf, bei denen Kapitaleinlagen zunächst nicht als solche offen ausgewiesen bzw. gemeldet wurden oder erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt wird, dass solche vorliegen.

Explizit offen gelassen hat das Gericht die Frage, ob auch verdeckte Kapitaleinlagen handelsrechtlich zu einem späteren Zeitpunkt aufgedeckt werden können und sich der Aufdeckungsbetrag noch als Kapitaleinlagereserve i.S.v. Art. 5 Abs. 1bis VStG qualifiziert. Bereits vom Bundesgericht thematisiert wurde hingegen die Frage, ob verdeckte Kapitaleinlagen zu einem späteren Zeitpunkt gestützt auf Art. 20 Abs. 3 DBG einkommenssteuerfrei vereinnahmt werden können (BGer, 17.3.2023, 9C_678/2021, BGE 149 II 158). Im vorliegenden Leitentscheid bestätigt das Bundesgericht nochmals, dass Verrechnungssteuer und Einkommenssteuer unterschiedliche Zwecke verfolgen und ihre Belastungsziele nicht identisch sind. Deshalb schliesst der Zusammenhang zwischen der Verrechnungssteuer und der Einkommenssteuer gerade bei nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt gesondert verbuchten Kapitaleinlagen nicht aus, dass dieselbe Zahlung von den beiden Steuern unterschiedlich erfasst wird, was im vorliegenden Sachverhalt infolge der Verletzung der Meldepflicht zutrifft.

Gemäss bisheriger Praxis der ESTV werden Kapitaleinlagen nur abzüglich der damit in Verbindung stehenden Kapitalerhöhungskosten, wozu auch die Emissionsabgabe gezählt wird, als Kapitaleinlagen i.S.v. Art. 5 Abs. 1bis VStG anerkannt. Diese umstrittene Praxis wird vom Bundesgericht im Urteil ebenfalls nicht explizit angesprochen. Anzumerken ist immerhin, dass von dem durch das Bundesgericht festgestellten Betrag an Reserven aus Kapitaleinlagen die im Sachverhalt erwähnte Emissionsabgabe nicht zum Abzug gebracht wurde.

 

ADB Altorfer Duss & Beilstein AG

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