Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass bei der Wiederbegebung eigener Beteiligungsrechte kein steuerbarer Kapitalgewinn entsteht. Eine Korrekturnorm im Gewinnsteuerrecht fehlt, weshalb nicht vom handelsrechtlichen Erfolgsausweis abgewichen werden kann. Dieses Urteil (9C_135/2023) stellt einen wichtigen Leitentscheid mit Signalwirkung dar.
Die an der Schweizer Börse SIX kotierte Holdinggesellschaft hatte zu Absicherungszwecken und für ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm eigene Aktien zurückgekauft. Im Rahmen der Zuteilung dieser eigenen Aktien an Mitarbeiter entstand eine positive Differenz zwischen dem Wert im Zeitpunkt der Zuteilung und den Anschaffungskosten aus früheren Rückkäufen. Die Differenz wurde erfolgsneutral in der gesetzlichen Kapitalreserve verbucht.
Das Bundesgericht hatte die Frage zu beurteilen, ob die bei der Wiederbegebung eigener Aktien entstandene Differenz einen steuerbaren Kapitalgewinn darstellt. Das Kantonale Steueramt Zürich und die ESTV verwiesen auf die Analyse des Vorstandes der Schweizerischen Steuerkonferenz («SSK»), wonach Gewinne und Verluste bei der Veräusserung von eigenen Aktien ungeachtet der handelsrechtlichen Verbuchung gewinnsteuerwirksam zu behandeln seien. Gemäss der im Verfahren von der ESTV vertretenen Auffassung sei irrelevant, ob und wie die Wiederbegebung eigener Aktien handelsrechtlich erfasst werde, da bei erfolgsneutraler Verbuchung Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG eine Korrekturnorm darstelle, um vom handelsrechtlichen Ausweis abzuweichen. Das Bundesgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt.
Mit der Revision des Rechnungslegungsrechts erfolgte ein Systemwechsel hin zum in der internationalen Rechnungslegung (IFRS; US-GAAP) gebräuchlichen Konzept, wonach der Rückkauf eigener Beteiligungsrechte wirtschaftlich einer Kapitalherabsetzung bzw. Ausschüttung an die Anteilsinhaber gleichzusetzen ist. Korrespondierend hierzu wird die Wiederbegebung eigener Aktien ähnlich behandelt wie eine Kapitalerhöhung. Nach der von der SSK zunächst vertretenen Ansicht handle es sich bei dieser Gesetzesänderung im Rechnungslegungsrecht um eine blosse Anpassung der Darstellung, welche die bisherige steuerliche Praxis nicht tangiert. Auch die ESTV und ein Teil der Lehre sprachen sich für die Fortführung der bisherigen Praxis aus.
Mit Bezug auf die Kapitalsteuer kam das Bundesgericht allerdings bereits mit Leitentscheid vom 14. November 2019 (2C_119/2018) zum Schluss, dass die bisherige steuerliche Praxis nicht fortgeführt werden kann. Auch bei der Mehrwertsteuer beurteilte das Bundesgericht den Erwerb eigener Aktien als Kapitalherabsetzungsvorgang und nicht als Erwerb eines Vermögenswertes (2C_891/2020; vgl. ADB Newsletter vom Januar 2022). Bis zum Urteil vom 6. Juni 2024 blieb jedoch die Frage der gewinnsteuerlichen Behandlung eigener Beteiligungsrechte offen.
Das Gericht hielt im Wesentlichen fest, dass die gewählte erfolgsneutrale Verbuchungsweise nicht zu beanstanden sei. Mit Bezug auf die eigenen Aktien liege kein Vermögenswert vor, weshalb auch bei der Wiederbegebung eigener Beteiligungsrechte nicht von einem Kapitalgewinn gesprochen werden könne. Gemäss der gewinnsteuerlichen Korrekturnorm in Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG müsse ein der Erfolgsrechnung nicht gutgeschriebener «Ertrag» vorliegen. Bei der Wiederbegebung eigener Aktien werde jedoch gerade kein «Ertrag» erzielt. Zudem lehnte das Bundesgericht die Verknüpfung der Gewinnsteuer mit der Einkommens- und Verrechnungssteuer ab: Der steuersystematische Zusammenhang zwischen der Verrechnungssteuer bzw. der Einkommenssteuer einerseits und der Gewinnsteuer andererseits erscheine zu schwach, um in Art. 58 Abs. 1 lit. c DBG (i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG, Art. 4a VStG) eine Korrekturvorschrift zu erkennen und das Massgeblichkeitsprinzip zu durchbrechen. Wenn eigene Aktien wieder ausgegeben würden, liege ein steuerfreier Kapitaleinlagevorgang nach Art. 60 lit. a DBG vor. Letzteres müsste bedeuten, dass auch bei erfolgswirksamem Ausweis von Wertzuwächsen aus der Wiederbegebung eigener Aktien in der Handelsbilanz gewinnsteuerlich eine steuerneutrale Kapitaleinlage vorliegt.
Aufgrund des hängigen Pilotverfahrens zu dieser Rechtsfrage wurden zahlreiche Rechtsmittel sistiert. Mit diesem Entscheid wurde nun Klarheit zu einer wichtigen Grundsatzfrage geschaffen und eine Praxisänderung eingeleitet. Auch wenn damit ein weiteres Puzzleteil am richtigen Ort gesetzt wurde, bestehen im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung eigener Aktien weiterhin offene Fragen, bspw. bei der Anwendung des Kapitaleinlageprinzips und auch bei Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen. Wir empfehlen, dieses Urteil zum Anlass zu nehmen, Transaktionen mit eigenen Aktien einer vertieften Überprüfung zu unterziehen.
ADB Altorfer Duss & Beilstein AG
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