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Revision des DBA Deutschland-Schweiz

Am 21. August 2023 haben die Schweiz und Deutschland das Revisionsprotokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens unterzeichnet. Das DBA wird damit OECD- und BEPS-konformer gemacht. Gleichzeitig werden im deutschen Aussensteuerrecht begründete Anomalien dieses DBA beibehalten, was bedauerlich ist. Immerhin führen einzelne Änderungen zu einer Verbesserung der Rechtssicherheit und der Praktikabilität.

Überblick

Zwischen der Schweiz und Deutschland besteht ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-DE). Das DBA-DE ist eines der relevantesten der über 100 von der Schweiz abgeschlossenen DBA. Es stammt aus dem Jahre 1971 und wurde 2010 letztmals revidiert. Vor der letzten Revision haben die Vertragsstaaten vereinbart, das DBA-DE in zwei Etappen zu überarbeiten. Umgesetzt wurde damals die zeitlich dringliche Anpassung der Amtshilfebestimmung (Informationsaustausch auf Ersuchen). Die übrigen revisionsbedürftigen Punkte wurden auf später verschoben. Dazu gehörte insbesondere die von der Schweiz geforderte Abschaffung der in keinem anderen DBA enthaltenen Anomalien der sog. «überdachenden Besteuerung» und der sog. «erweiterten beschränkten Steuerpflicht» (Art. 4 Abs. 3, 4 und 9) sowie des ebenfalls nicht mehr zeitgemässen Vorbehaltes der nationalen Missbrauchsvorschriften (Art. 23).

Die Verhandlungen zwischen den Delegationen beider Staaten konnten Ende 2020 nach zehn Verhandlungsrunden und zusätzlichen technischen Gesprächen mit der Paraphierung eines Entwurfes für ein Änderungsprotokoll abgeschlossen werden. Im Verlauf der Verhandlungen zeigte es sich, dass sich die erwähnten, von der Schweizer Seite geforderten grundlegenden Anpassungen nicht durchsetzen
liessen, ohne inakzeptable Konzessionen in anderen Punkten zuzugestehen. Deshalb haben sich die Delegationen auf den Ansatz geeinigt, diejenigen Elemente in das Änderungsprotokoll aufzunehmen, welche einen Mindeststandard der OECD darstellen oder als in beidseitigem Interesse liegend betrachtet wurden.

Zum einen werden mit dem Änderungsprotokoll deshalb die OECD-Mindeststandards gemäss dem Multilateralen Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Massnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS-Übereinkommen) implementiert. Zum anderen wird der Wortlaut einiger Regelungen an das OECD-Musterabkommen 2017 (OECD-MA) angeglichen. Schliesslich werden verschiedene Bestimmungen, die
bisher als sog. Konsultationsvereinbarungen zwischen den zuständigen Behörden geregelt waren, in das DBA-DE bzw. in dessen Protokoll überführt. Namentlich der letzte Punkt erhöht die Rechtssicherheit, da die bisherigen Konsultationsvereinbarungen als blosse Verwaltungsvereinbarungen von deutschen Gerichten als nicht verbindlich erachtet wurden.

Ausgewählte wesentliche Änderungen

1.  Abkommensmissbrauch; Missbrauchsklausel

In der mit dem Änderungsprotokoll neu formulierten Präambel zum DBA-DE bekunden die Vertragsstaaten ihre Absicht, keine Möglichkeiten zur Nichtbesteuerung oder reduzierten Besteuerung durch Steuerhinterziehung oder -umgehung zu schaffen, unter anderem durch missbräuchliche Gestaltungen zwecks Treaty Shoppings. Dies entspricht dem in der jüngeren Vergangenheit zu beobachtenden Trend, mit den Doppelbesteuerungsabkommen auch eine doppelte Nichtbesteuerung vermeiden zu wollen.

Der bestehende Art. 23 Abs. 1 bestimmt, dass die innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften bei der Auslegung des DBA-DE zu berücksichtigen sind. Dies wird beispielsweise relevant bei Dividendenausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft an die (funktionsschwache) schweizerische Holding. Hier führen die restriktiven Substanzvorschriften des deutschen innerstaatlichen Rechts häufig zur Aberkennung der Entlastung von der deutschen Kapitalertragssteuer (Anti-Treaty-Shopping-Regelung, § 50d Abs. 3 EStG). Es erstaunt deshalb nicht, dass die deutsche Delegation am bisherigen Wortlaut von Art. 23 festhalten wollte.

Um die OECD-Konformität dennoch herzustellen, wird darüber hinaus in einem neuen Abs. 3 der erwähnten Bestimmung eine Generalklausel gegen Abkommensmissbrauch eingeführt. Danach werden DBA-Vorteile nicht gewährt, wenn das Erlangen dieser Vorteile einer der Hauptzwecke der entsprechenden Gestaltung oder Transaktion war. Damit wird der entsprechende Standardwortlaut des OECD-MA übernommen (Art. 23 Abs. 9 OECD-MA). Im Unterschied zu den Regelungen anderer jüngerer DBA der Schweiz ist nicht erforderlich, dass der Hauptzweck einer Gestaltung oder Transaktion im Erlangen der Abkommensvorteile liegt; es genügt vielmehr, dass ein solcher Hauptzweck vorliegt. Allerdings enthält die Generalklausel – auch dies OECD-konform – eine Escape-Klausel, welche den Gegenbeweis zulässt, dass die Gewährung des Vorteils mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden DBA-Vorschrift im Einklang steht. In der Praxis dürften sich deshalb kaum unterschiedliche Resultate aus den abweichenden Wortlauten ergeben.

Es besteht nunmehr immerhin Übereinstimmung mit der deutschen innerstaatlichen Anti-Treaty-Shopping-Regelung, welche in ihrer jüngsten Fassung ebenfalls eine Escape-Möglichkeit über einen Principle Purpose Test vorsieht (Satz 2 von § 50d Abs. 3 EStG). Sofern deshalb nachweislich aussersteuerliche Gründe für eine Gestaltung überwiegen, die auf unternehmerischen, organisatorischen, wirtschaftlichen oder finanziellen Aspekten beruhen, müssen die Abkommensvorteile gewährt werden. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen sich in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis aus der Anwendung des innerstaatlichen und des abkommensrechtlichen Principle Purpose Tests ergeben werden.

2.  Gewinnberichtigungen im Konzern oder Einheitsunternehmen

Relativ häufig führen Gewinnaufrechnungen bei deutschen Konzerngesellschaften (sog. Primärberichtigung, primary adjustment) zu dem Wunsch, bei der die verdeckte Gewinnausschüttung empfangenden schweizerischen Konzerngesellschaft eine Gegenberichtigung (sog. corresponding adjustment) vornehmen zu können, um die wirtschaftliche Doppelbesteuerung im Konzern zu vermeiden. Auch im Verhältnis von Hauptsitz im einen und Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat können sich Doppelbesteuerungen aus einer unterschiedlichen Gewinnabgrenzung durch die beiden Staaten ergeben. Es ist deshalb positiv zu vermerken, dass das Änderungsprotokoll die entsprechenden Regelungen aus dem OECD-MA übernimmt, wonach für den erstveranlagenden Staat – häufig eben die Schweiz – eine Verpflichtung zu Vornahme einer Gegenberichtigung besteht (Art. 9 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 3). Die Gegenberichtigung erfolgt jedoch nicht etwa automatisch, sondern nur insoweit, als die Primärberichtigung dem Grundsatz des Drittvergleichs (arm’s length principle) entspricht, sodass sie sich auch als Resultat eines Verständigungsverfahrens ergeben könnte.

Der praktische Vorteil der Neuregelung liegt darin, dass sie das Durchlaufen eines Verständigungsverfahrens in vielen Fällen überflüssig macht. Denn verfahrensrechtlich kann sich aus den neuen Bestimmungen – demnach direkt aus dem DBA-DE – ein Revisionsgrund ergeben, welcher erlaubt, bereits definitiv veranlagte Steuerperioden der schweizerischen Konzerngesellschaft zu öffnen und die Gegenberichtigung umzusetzen. Damit entfällt die Notwendigkeit, eine Lösung im Verständigungsverfahren nur deshalb herbeizuführen, um einen zur Umsetzung der Korrektur erforderlichen Revisionsgrund zu schaffen.

3.  Nullregelung für Dividenden

Dividenden aus qualifizierten Beteiligungen von mindestens 10% am Kapital der Dividendenschuldnerin sind von den Quellensteuern in beiden Staaten befreit. Die Anwendung dieser sog. Nullregelung erfordert eine Mindesthaltedauer von einem Jahr, welche bisher als ein «Zeitraum von mindestens 12 Monaten» definiert war. Das Änderungsprotokoll stellt nun klar, dass die Frist taggenau zu berechnen und als eine «Dauer von 365 Tagen» zu verstehen ist.

Weiter enthält die Neuregelung eine Aufzählung von Umstrukturierungstatbeständen (Fusion, Spaltung, Umwandlung), deren Umsetzung keinen Neubeginn der Frist zur Folge hat. Dies entspricht der bisherigen Praxis der ESTV, wobei im Einzelfall – je nach Umstrukturierungsvorgang – weiterhin unklar sein kann, ob ein Fristneubeginn erfolgt oder nicht. Im Zweifel werden solche Fragen deshalb auch künftig mit der ESTV zu klären sein.

4.  Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren

Entsprechend dem Standard des OECD-MA wird neu auch im Anwendungsbereich des DBA-DE die Frist von 3 Jahren für die Einleitung eines Verständigungsverfahrens eingeführt. Danach ist der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens innert 3 Jahren ab der ersten Mitteilung der als abkommenswidrig erachteten Massnahme der Steuerbehörde zu stellen. Diese Frist macht es namentlich im deutsch-schweizerischen Konzernverhältnis erforderlich, mögliche Doppelbesteuerungen frühzeitig zu erkennen. Es empfiehlt sich deshalb grundsätzlich, mit entsprechenden Abklärungen bereits im Stadium der Betriebsprüfung zu beginnen. Insbesondere hemmt die Ergreifung von innerstaatlichen Rechtsmitteln die Dreijahresfrist nicht, sodass gegebenenfalls die beiden Verfahrenswege parallel zu beschreiten sind.

Wenn das Verständigungsverfahren zu keiner Einigungslösung führt, kann daran anschliessend ein Schiedsverfahren durchgeführt werden, welches neu an einen schriftlichen Antrag der Person geknüpft wird, welche die Einleitung des Verständigungsverfahrens beantragt hat (Art. 26 Abs. 5).

5.  Arbeitnehmer und Grenzgänger

Das Änderungsprotokoll enthält zahlreiche Regelungen im Bereich der unselbständigen Erwerbstätigkeit und der Grenzgänger, welche in das Protokoll zum DBA-DE eingefügt werden.

Bei Arbeitnehmern, deren Arbeitslohn nach Art. 15 Abs. 1 auf die Tätigkeitsstaaten Schweiz und Deutschland aufgeteilt werden, entfällt neu die Möglichkeit, für die Aufteilung pauschal von 240 Arbeitstagen in einem Jahr auszugehen. Vielmehr ist auf die tatsächlichen Arbeitstage im betreffenden Zeitraum abzustellen, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, die tatsächlichen Arbeitstage und die Tätigkeitsorte entsprechend zu bescheinigen.

Die Besteuerung als Grenzgänger erfordert eine regelmässige Rückkehr vom Arbeitsort an den Wohnort im anderen Vertragsstaat. Bisher wurde von einer «regelmässigen Rückkehr» ausgegangen, wenn eine Person sich an mindestens einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat vom Wohnort an den Arbeitsort und zurück begibt. Nach der neuen Regelung muss der Arbeitnehmende an mindestens 20% der vereinbarten Arbeitstage vom Wohnsitz an den Arbeitsort und zurück pendeln. Die neue relative Regel soll der Situation von Personen mit Teilzeitpensen besser Rechnung tragen.

6.  Öffentlicher Dienst

Eine materielle Änderung erfährt die Zuteilungsnorm im Bereich der grenzüberschreitend erbrachten Dienste für öffentlich-rechtliche Rechtsträger. Die bisherige Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit entfällt und wird durch das Kriterium der Ansässigkeit ersetzt, was den Vorgaben des OECD-MA entspricht. Ferner wird der Anwendungsbereich der Zuteilungsregeln zum öffentlichen Dienst erweitert auf zivilrechtlich organisierte Arbeitgeber, welche bestimmte Voraussetzungen erfüllen, darunter die Erfüllung eines Auftrags mit öffentlich-rechtlicher Grundlage, die Einhaltung bestimmter Finanzierungskriterien und die Existenz einer staatlichen Aufsicht. Diese Änderung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Vertragsstaaten zunehmend Organisationsformen des Privatrechts bedienen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Verschiedene weitere Klarstellungen im Änderungsprotokoll, etwa zur Abgrenzung des öffentlichen Dienstes von unternehmerischer Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber dürften die Rechtssicherheit in der Anwendung dieser Zuteilungsnorm erhöhen.

7.  OECD-Mindeststeuer (Pillar 2)

Als Folge der abkommensbezogenen Empfehlungen des BEPS-Aktionsplans enthält das Änderungsprotokoll einen klarstellenden Hinweis, dass die Freistellung der Gewinne einer Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat den Staat des Hauptsitzes nicht daran hindert, die Ergänzungssteuer nach der Regelung der OECD-Mindeststeuer zu erheben (Art. 24 Abs. 4).

Inkrafttreten

Im Anschluss an dessen Unterzeichnung muss das Änderungsprotokoll auf beiden Seiten im Gesetzgebungsverfahren genehmigt werden. Mit dem daran anschliessenden Austausch der Ratifikationsurkunden wird das Änderungsprotokoll in Kraft treten und auf die Steuerperioden ab dem 1. Januar, welcher auf das Inkrafttreten folgt, Anwendung finden. Es wird damit gerechnet, dass dies der 1. Januar 2025 sein wird. Davon abweichend werden die Änderungen im Bereich des Verständigungs- und Schiedsverfahrens voraussichtlich erst per 1. Januar 2026 wirksam werden.

 

ADB Altorfer Duss & Beilstein AG

Andreas Helbing und Fabian Streule informieren Sie gerne.